Jahreslosung

Du bist ein Gott der mich sieht 
Genesis 16,13

Jahreslosung 2023

Erwin Freese


Die Evangelische Stadtkirche in Baden-Baden und Ihre Pfarrer

mit Ausblick auf Kirchengemeinde und Kirchenbezirk Baden-Baden

Die Reformation hatte in der Markgrafschaft Baden früh Eingang gefunden und konnte sich, wenn auch vielfach bedrängt, an die hundert Jahre halten. Dann setzte die Gegenreformation ein und bis ins 19. Jahrhundert gab es keine Evangelischen in Baden-Baden. Erst durch Zuwanderung und durch die zahlreichen Kurgäste entstand eine kleine evangelische Gemeinde, für die nach mehrfachen Anträgen endlich zum 1. Juni 1832 eine eigene Pfarrei errichtet wurde. Bisher mußten die Evangelischen von Gernsbach betreut werden: Dieses Gebiet mit Staufenberg und Scheuern war seit 1556 unter Graf Wilhelm IV. von Eberstein ununterbrochen evangelisch geblieben.
So fand am 24. Juni 1832 zum ersten Mal nach 200 Jahren wieder ein evangelischer Gottesdienst statt. Der katholische Geistliche an der Stiftskirche wünschte den Evangelischen „in christlicher Aufgeschlossenheit“ herzlich Glück zur Erreichung ihres längst ersehnten Zieles, Gott nach ihrer Weise öffentlich verehren zu dürfen. Er öffnete ihnen die Spitalkirche zur Mitbenutzung ebenso wie den Anglikanern: eine wahrhaft ökumenische Gottesdienststätte für drei Konfessionen.

Evangelische Stadtkirche Baden-Baden - Christoph Schmezer

 

Erster Pfarrer war Christoph Schmezer
(1800 - 1882), ein in Wertheim geborener Kaufmannssohn. 1823 hatte er - noch unter dem Vorsitz von Prälat Hebel - sein Examen abgelegt.
Er wurde ein beliebter Prediger und gab die „Blätter für die häusliche Erbauung“ und die „Weihestunden" heraus, bis er 1840 nach Ziegelhausen kam, wo er die Freundschaft Scheffels gewann.

1840 - 1850 war Karl Deitigsmann (1804 - 1864) Pfarrer. Auf 1840 ist auch der 1977 wiedergefundene silberne Abendmahlskelch datiert, der nun wieder in Gebrauch ist. Die Stadtverwaltung schenkte 1845 der auf 500 Mitglieder angewachsenen Gemeinde - bei 6000 Einwohnern - einen Bauplatz in der Lichtentaler Vorstadt, dem damaligen „Industriegebiet“ der Stadt.

1851 wurde Karl Stolz (1806 - 1877) Pfarrer. Man plante einen Kirchenbau nach Plänen von Prof. Friedrich Eisenlohr, Karlsruhe, der viele Bahnhöfe der Badischen Staatsbahn gebaut hatte.
 Wohl wurde 1855 der Grundstein in Gegenwart des badischen Prinzregenten Friedrich gelegt. Doch die Finanzierung bereitete größte Schwierigkeiten. Zuerst verzichtete man vorläufig auf den Bau der Türme, dann mußte die Arbeit ganz eingestellt werden. Vier Jahre stand auf dem späteren Ludwig-Wilhelm-Platz ein halbfertiger Bau.

Da wurde 1859 Adolf Magnus Hansen zum Pfarrer in Baden-Baden ernannt. Ungerufen und von niemandem begrüßt, begann er seinen Dienst und wurde zum Retter des Kirchenbaus. Mit Energie und Fantasie brachte er die nötigen Mittel bei, sodaß 1862 die Arbeiten wieder aufgenommen werden konnten. Ein Hilfsverein, der Gaben sammelte, Spenden von Fürsten und Kurgästen, Legate, Bazare und Sammlungen bis ins Ausland ermöglichten die Fertigstellung.

Am 8. Mai 1864 wurde die evangelische Stadtkirche eingeweiht in Gegenwart des Großherzogs Friedrich I., aber auch vieler katholischer Geistlicher, was mit Freude und Genugtuung vermerkt wurde. 12 Jahre später konnte die Fertigstellung der Türme gefeiert werden, wozu das deutsche Kaiserpaar und die großherzogliche Familie gekommen waren. Einige Arbeiten zogen sich noch bis in die achtziger Jahre hin, etwa die Ausarbeitung der letzten Säulenkapitelle im Kirchenschiff.

Anfang des 20. Jahrhunderts wurden Altar, Kanzel und Taufstein so gestaltet, wie sie sich heute darbieten. 1972/73 wurde die Kirche gründlich renoviert: Das Gewölbe nach den alten Vorlagen ausgemalt, der Altar zur Gemeinde vorgezogen, der Taufstein der Kanzel gegenübergestellt, die Bänke durch Stuhlreihen ersetzt, der Chor in heller, schlichter Form freigelegt und eine neue Orgel in Dienst gestellt. Seit 1978 erstrahlen die berühmten Chorfenster in neuem Glanz. So steht heute die Evang. Stadtkirche in Baden-Baden, die Mutter der evangelischen Kirchen im Oostal, in würdigem Gewand zur Verkündigung des Evangeliums bereit.

Evangelische Stadtkirche Baden-Baden - Rosette

Evangelische Stadtkirche Baden-Baden - Pfarrer Magnus Hansen

 

 

 

 

 

 

 

Evangelische Stadtkirche Baden-Baden - Pfarrer Magnus Hansen Gedenktafel

Pfarrer Adolf Magnus Hansen (1819 - 1905)
war Lehrerssohn und stammte aus Schleswig. Er stand der Brüdergemeinde nahe und hielt sich zu den Männern der Erweckungsbewegung wie Alois Henhöfer und Christoph Blumhardt. Nachdem Schleswig 1848 dänisch geworden war, durfte er seines Deutschtums wegen kein Amt übernehmen. Er trat in den badischen Kirchendienst und wurde Seelsorger im neugebauten Zellengefängnis in Bruchsal. Von dort holte ihn 1859 das Vertrauen des Großherzogs Friedrich I. nach Baden-Baden, obwohl man hier lieber einen Pfarrer der liberalen Richtung gesehen hätte. Aber seine schlichte Frömmigkeit und seine Tatkraft, mit der er den Kirchenbau voran trieb, ließen ihn bald die Herzen der Gemeindeglieder gewinnen. Unter seiner Kanzel saßen die Großen seiner Zeit: Das deutsche Kaiserpaar, die englische Queen Victoria, Bismarck und Moltke. Die großherzogliche Familie gehörte zu seinen regelmäßigen Kirchenbesuchern. Die Freundschaft zum Hause der Fürsten Hohenlohe-Langenburg ermöglichte ihm die Gründung einer Kleinkinderschule, ein epoche-machendes Ereignis für jene Zeit. Die Amtsführung fiel ihm nicht leicht. Der Kirchenbau hat ihn so mitgenommen, daß ihm der Arzt jede anstrengende Tätigkeit bei der Einweihung untersagthatte, er durfte nur ein kurzes Gebet sprechen.

Acht Jahre führte er das Pfarramt allein, zu dem auch die Vororte von Oos bis Oberbeuern gehörten. Für die weitverzweigte Diaspora hatte er auch den gesamten Religionsunterricht zu erteilen. Als er endlich einen Vikar bekam, wirkte sich dessen gegensätzliche theologische Richtung für Gemeinde und Zusammenarbeit nicht vorteilhaft aus, da sich die freigeistige Bäderstadt gern modernen Strömungen öffnete. Die mühsam durchgehaltene, von ihm eingerichtete evangelische Volksschule im Baldreit mußte in der städtischen Simultanschule aufgehen. Altlutheraner, die die badische unierte Kirche ablehnten, verlegten ihre Gottesdienste in die englische Kirche (heute Johanniskirche am Gausplatz). Alles zusammen, auch der frühe Tod seiner Frau, ließen ihn vorzeitig um seine Pensionierung bitten. 1877 schied er in Baden-Baden aus seinem Amt. Die Gemeinde ehrte ihn noch zu Lebzeiten mit einer Gedenktafel in der Kirche, im Seitenschiff rechts an der Wand.

Pfarrer Wilhelm Ludwig (1845 - 1925) war badischer Pfarrerssohn, in Rötteln bei Lörrach geboren. Baden-Baden war seine erste selbständige und einzige Pfarrei. Er gehörte zu den Liberalen seiner Zeit, die ihr Bibelverständnis aus der damals neugewonnenen historischen Forschung herleiteten. Als Pfarrverweser hatte er die Stelle angetreten, nach einer Gemeindewahl wurde er 1878 für 40 Jahre Pfarrer und prägte durch seine Rührigkeit, seinen Takt, seine gleichbleibende Liebenswürdigkeit und seine packende Predigtgabe die aufstrebende Gemeinde. Bald erforderte die Zunehmende Zahl der Evangelischen in den Außenbezirken des langgestreckten Oostales eigene Gottesdienststätten.

Evangelische Stadtkirche Baden-Baden - Wilhelm Ludwig

Evangelische Stadtkirche Baden-Baden - Lutherkirche

In Lichtental wurde ein Saal des Waisenhauses zur Verfügung gestellt, bis 1907 die Lutherkirche eingeweiht werden konnte. Sie ist ganz in dem damals hochmodernen Jugendstil gebaut. Die Evangelischen in Oosscheuern (heute Paulusgemeinde in der Weststadt) erhielten die Gnadenkapelle, eine Stiftung des Großherzogs. In Oos versammelten sich die Gemeindeglieder zunächst in einem Schulraum, später im Bürgersaal.
 1880 begann Pfarrer Ludwig mit der ersten Bibelstunde, 1881 gründete er einen Kirchengesangverein, 1884 wurde der erste Kindergottesdienst gehalten. Die schon bestehende Kleinkinderschule in der Merkurstraße erhielt ein zweckentsprechendes Gebäude, weitere Kinderschulen wurden 1909 in der Weststadt und 1911 in Lichtental eingerichtet. Seine Ehefrau Margarete rief einen Schülerhort ins Leben.

1909 wurde der Kirchenbezirk Baden-Baden geschaffen, bisher gehörte die Stadt zum Bezirk Karlsruhe. Das neue Dekanat umfaßte Gernsbach mit Staufenberg, seit der Reformation evangelisch, mit der alten St. Jakobskirche, Baubeginn 1467 (Foto 6); Rastatt mit der alten Franziskanerkirche von 1752, seit 1807 evangelisch; Durmersheim mit einer Kirche von 1855 und Bühl von 1856, Erweiterung 1893, und Gaggenau mit einer Kirche von 1891. Pfarrer Ludwig verwaltete als erster Dekan den Bezirk mit großer Umsicht. In Achern konnte 1909, in Forbach, in prächtiger Lage, 1913 eine Kirche gebaut werden.

Evangelische Stadtkirche Baden-Baden - Kirchenbezirk

Evangelische Stadtkirche Baden-Baden - Dekan Ludwig Gedenktafel

Dekan Ludwig gehörte auch der Generalsynode an und war Mitbegründer des Pfarrvereins in Baden. Die Heidelberger Fakultät verlieh ihm den theologischen Ehrendoktor, als Kirchenrat schied er 1919 aus dem Amt und lebte bis zu seinem Tod in Baden-Baden. Eine Gedenktafel in der Stadtkirche hält die Erinnerung an den ersten Dekan Baden-Badens wach.

Pfarrer Karl Hesselbacher (1871 - 1943) war ebenfalls badischer Pfarrerssohn, in Mückenloch bei Heidelberg geboren. Nach dem Pfarramt in Neckarzimmern, unter Kleinbauern, und in der Karlsruher Südstadtgemeinde, einem Arbeiterviertel, erreichte ihn 1919 der Ruf nach Baden-Baden. Der Glanz des Kurortes war durch den verlorenen Krieg und seine Folgen verblaßt. Die Oberschicht der wohlhabenden Pensionäre verarmte. Dieser Not zu steuern führte Pfarrer Hesselbacher eine geregelte Armenpflege ein. Über die Gemeinde urteilt er, was bis heute gilt: „Sie zeigt die Art einer Diaspora, denn sie war nie bodenständig wie die katholische Bevölkerung. Ein ständiges Kommen und Gehen verhinderte es, die Menschen wirklich kennen zu lernen. Wohl spannen sich Fäden des Verstehens von einem zum andern, aber dann kam der Abschied. Es hieß immer wieder von vorne anfangen.“ Über den Gottesdienstbesuch schrieb er: „Ein großer Teil der gebildeten Welt nahm am Gottesdienst teil, auch die schlichten Leute kamen. Ich mußte so predigen, daß nachdenkliche Menschen wie auch schlichte Gemüter etwas aus der Kirche mitnehmen konnten. Die große Predigtschule meines Lebens hatte mich genötigt, einfach, mit dem Blick auf die Wirklichkeit des Tages farbig und bilderreich zu sprechen.“

Zugute kam ihm dabei seine schriftstellerische Begabung. Es gelang ihm, aus kleinen Erlebnissen und Begegnungen in der Seelsorge anschauliche Erzählungen zu gestalten, die er auf eine volkstümliche Art darbot. Sein Andachtsbuch „In der Sonntagsstille“ zeigt am besten, wie er einen Bibeltext durch eine Erzählung auslegen konnte. Ebenso machte er das Glaubensbekenntnis in seinem Buch „Ich glaube“ deutlich. Sein Spätwerk ist gekennzeichnet durch historische Erzählungen, zu denen er durch Epochen des verfolgten Protestantismus angeregt wurde, und durch volkstümliche Biographien: Der 5. Evangelist (J. S. Bach), Luthers Käthe, Paul Gerhardt, Matthias Claudius. „Geschichten von Großvater Ledderhose“ und „Ein deutsches Handwerkerhaus“ lassen auf politische und religiöse Probleme in Baden des 19. Jahrhunderts zurückblicken.

Evangelische Stadtkirche Baden-Baden - Karl Hesselbacher

Evangelische Stadtkirche Baden-Baden - Dekan Hesselbacher

So war er auch der rechte Mann, ein Gemeindeblatt „An der Lebensquelle“ herauszugeben und zu gestalten, in dem auch Meldungen und Anliegen des Kirchenbezirks zu Worte kamen. Seine Ehefrau Emmy rief eine Gruppe des Deutsch-Evangelischen Frauenbundes ins Leben, der heute noch besteht. Bis jetzt gab es kein Gemeindehaus. Veranstaltungen mußten in Gasthaussälen abgehalten werden. Erst durch eine großzügige Spende von Marie-Luise Schrempp konnte 1927 ein stattliches Gebäude mit einem großen Gartengelände erworben werden, das den Grundstock des heutigen Gemeindezentrums bildet und zunächst als Gemeindehaus diente. 1931 begann die Arbeit eines Gemeindeamtes. Das Marthahaus wurde als Wohnheim für Hotelangestellte angekauft und ist heute, erweitert, ein großes Altersheim. Für die wachsende Ooser Gemeinde wurde 1936 die Friedenskirche gebaut. Nachdem das Dekanat von 1919 - 1930 mit Kirchenrat Georg Speyerer (1861 - 1930) in Rastatt besetzt war, wurde ab 1932 das Amt des Dekans erneut mit der Altstadtpfarrei verbunden und Pfarrer Hesselbacher damit betraut. 1936 wurde Lichtental selbständige Pfarrei, Kuppenheim erhielt 1937 eine eigene Kirche. Auch Dekan Hesselbacher erhielt den theologischen Ehrendoktor, wurde zum Kirchenrat ernannt und trat 1938 in den Ruhestand, den er in Baden-Baden verbrachte. Er war der vorläufig letzte Dekan des Kirchenbezirks. Auch sein Andenken hält eine Tafel in der Stadtkirche wach.

Pfarrer Walter Brandl (1886 - 1975) geboren in Sinsheim, bisher Krankenhauspfarrer im Diakonissenhaus Rüppurr, wurde noch durch seinen Vorgänger 1938 als Pfarrer der Altstadtgemeinde eingeführt. Einen Dekan jedoch gab es nicht mehr.
 Inzwischen brauchten alle Entscheidungen, die finanzielle Auswirkungen hatten, die Genehmigung der vom NS-Staat eingesetzten „Finanzabteilung". Da aber nicht zu erwarten war, daß ein von der Kirchenleitung ernannter Dekan den NS-Behörden genehm sein würde, ließ man das Dekanat nur kommissarisch verwalten. Die Antwort der Finanzabteilung bestand 1940 in der Auflösung des Kirchenbezirks: Ein Teil wurde dem Dekanat Karlsruhe, der andere dem Dekanat Rheinbischofsheim (jetzt Kehl) zugewiesen. So stand der Amtsantritt des neuen Pfarrers unter den Behinderungen der kirchenfeindlichen NS-Diktatur. Die Innere Mission wurde durch die NS-Volkswohlfahrt immer mehr eingeengt, der Religionsunterricht eingeschränkt. Die Jugendkreise, soweit sie nicht der Hitlerjugend einverleibt waren, wurden beargwöhnt, die Vereine der Kindergärten und des Kirchenchors nur durch Eingliederung in die Kirchengemeinde gerettet. Pfarrer Brandls Verkündigung geschah im Sinn der "Bekennenden Kirche“ in deutlicher Abgrenzung zu den „Deutschen Christen“, die an Altem und Neuem Testament in Ausmerzung alles Jüdischen und Unheldischem immer stärkere Abstriche machten. Die Schwierigkeiten verstärkten sich im Krieg. Mit dem Pfarrer von Lichtental mußte auch der Dienst der einberufenen Amtsbrüder übernommen werden. Aus den bombengefährdeten Großstädten, wie etwa Dortmund, wurden abkömmliche Einwohner nach Baden-Baden verschickt. Ganzen Schulklassen wurde Asyl gewährt, die evangelischen Schüler mitkonfirmiert, 12 Evakuierte hatte das Pfarrhaus aufgenommen.

Stadtkirche Baden-Baden - Walter Brandl

 

Am 13. April 1945 war für Baden-Baden durch die französische Besetzung der Krieg zu Ende. Eine große Hilfe in den Nöten der Nachkriegszeit war der französische Feldbischof D. Marcel Sturm, dem Pfarrer Brandl im Gemeindehaus eine Dienststelle einrichten konnte: „Er trug mit an den Problemen und Aufgaben unserer Kirche, als wären es die Seinigen, und war immer mit vornehmem Takt bemüht, daß die Gemeinschaft völlig frei bleiben sollte von dem Eindruck, als ob hier nur die Besatzungsmacht ihres Amtes walte.“ Unter großer Anteilnahme wurde Sturm 1950 nach plötzlichem Herzschlag zu Grabe getragen.

Evangelische Stadtkirche Baden-Baden - Glockenweihe

Das Pfarrhaus war inzwischen fast zu einem „christlichen Hospiz“ geworden, in dem Pfarrer Brandls Ehefrau Gisela Wunder der Unterbringung und Verköstigung vollbrachte. Denn nun strömten die Wanderer aus allen Himmelsrichtungen vorbei: Heimkehrende Soldaten, Heimatvertriebene und Flüchtlinge aller Art. Nachdem das „Ev. Hilfswerk" gegründet war und die Gaben aus den vor kurzer Zeit noch feindlichen Ländern eintrafen, nahm im Erdgeschoß des Pfarrhauses die Hilfswerkstelle für den ganzen Kirchenbezirk ihre Tätigkeit auf. Im Gemeindehaus wurden zwei Jahre lang Altenspeisungen veranstaltet, für die im Marthahaus gekocht wurde. 1942 waren, mitten in der Karwoche, die Kirchenglocken für Kriegszwecke abtransportiert worden. Jahrelang bemühte sich Pfarrer Brandl um die Anschaffung eines neuen Geläutes, bis 1952 unter dem schwesterlichen Geläut der katholischen Stiftskirche fünf neue Bronzeglocken, in Karlsruhe gegossen, feierlich eingeholt wurden. Aus dem Vikariat in Oos war 1949 eine eigene Pfarrei entstanden, in der Weststadt 1946 die Pauluspfarrei, die 1958 ihr eigenes Gotteshaus mit Gemeindezentrum erhielt.
1953 konnte Pfarrer Brandl erreichen, daß der alte, 1940 durch staatlichen Eingriff zerstückelte Kirchenbezirk Baden-Baden wiederhergestellt wurde, er wurde dessen Dekan. In diese Zeit fällt der Kirchenwiederaufbau in Gaggenau, und der Kirchenbau in Muggensturm 1953, Weisenbach 1954, Staufenberg 1955 und Malsch 1956. Dekan Brandl ging 1956 in den Ruhestand und lebte als treuer Kirchengänger und mit regem Interesse am Ergehen der Gemeinden bis ins höchste Alter in Baden-Baden.

Pfarrer Arnold Hesselbacher (1904 - 1996) geboren in Neckarzimmern, kam schon im Alter von 15 Jahren nach Baden-Baden als Sohn von Karl Hesselbacher, und niemand ahnte, daß er der Nachfolger seines Vaters im Dekanat des Kirchenbezirks und im Pfarramt der Altstadtgemeinde werden sollte. Zuerst war er Pfarrer in Rinklingen, dann Rektor des Melanchthonstiftes in Freiburg, darauf Pfarrer dort an der Paulusgemeinde, bis ihn 1956 der Ruf nach Baden-Baden erreichte. Zur freudigen Verkündigung einer an Bibel und Bekenntnis gebundenen Theologie gesellten sich diakonische und bauliche Aufgaben. Die Zeitumstände begünstigten Planung und Ausführung großer Bauvorhaben. Unermüdlich trieb er diese Projekte voran, unterstützt von Kirchengemeindeverwalter Otto E. Kugler und Architekt Karlsiegfried Keppeler. Der Kindergarten in der Merkurstraße und das Altersheim Marthahaus wurden ausgebaut und der Kindergarten Tiergarten gegründet. Aus dem Hilfswerkbüro wurde 1957 der Gemeindedienst. Die Altstadtgemeinde, stark angewachsen, teilte sich 1960 in die Lukas- und Markuspfarrei, sie blieb aber dennoch eine Einheit, bis heute werden die Konfirmanden gemeinsam eingesegnet.
Als neues Pfarrhaus wurde das Anwesen neben dem Marthahaus erworben. Überraschend stellten sich Schäden an den Türmen der Stadtkirche heraus. Mit großen Kosten mußte das Gebäude gesichert werden, so daß die notwendige Innenrenovation erst unter dem Nachfolger möglich wurde. Zum hundertjährigen Jubiläum der Stadtkirche 1964 rundete sich das große Gemeindezentrum am Gausplatz mit einem großen Gemeindesaal und darunterliegenden Jugendräumen ab. Das bisherige Gemeindehaus wurde umgebaut und dient nun dem Gemeindeamt, dem Gemeindedienst und als Wohnung für den Kirchengemeinde-verwalter. Die mit dem Dekanat verbundene Pfarrei bekam ein modernes formschönes Haus mit den notwendigen Dienst- und Wohnräumen. 1970 wurde ein Schuldekanat geschaffen und zuerst mit Pfarrer Ludwig Schmitt, Religonslehrer in Gaggenau, 1976 mit Pfarrer Manfred Wahl, Religionslehrer in Baden-Baden, besetzt. Im Kirchenbezirk herrschte ebenfalls eine rege Bautätigkeit: Hörden erhielt 1957 eine kleine Kirche, Bühlertal und Steinbach eine 1961, ein Kirchenzentrum in Rastatt entstand 1962 als Thomaspfarrei. Sinzheim bekam 1964 ein Gotteshaus. In Sand steht seit 1965, auch für Kurgäste, die schlichte Kapelle „Zum guten Hirten“. In Rastatt wurden 1965 die Johanneskirche und die Kirche in Iffezheim gebaut, 1966 die in Bad Rotenfels. Nach Abbruch der alten Kirche in Bühl entstand 1968 ein großes Gemeindezentrum mit Kirche und Kindergarten. Die Stadtkirche in Rastatt konnte 1958, die in Gernsbach 1964 erneuert werden, dazu kam der Bau mancher Pfarrhäuser und Gemeinderäume. 1970 trat Dekan Hesselbacher in den Ruhestand und lebte in Freiburg. 

Pfarrer Siegfried Heinzelmann (1911-1987) geboren in Göttingen, war 25 Jahre an der Lutherkirche in Mannheim und wurde 1970 als Pfarrer der Lukasgemeinde und als Dekan des Kirchenbezirks ernannt. 1976 in seinem Amt von der Bezirkssynode bestätigt, trat er Ende 1978 in den Ruhestand und lebte in Haueneberstein.
1975 war es gelungen, die ehrwürdige Annenkapelle (älter als 13. Jahrhundert) in Bischweier zu übernehmen und als Gottesdienststätte herzurichten. Der romanische Chorraum und zutage gekommene Fresken mußten noch renoviert werden. Ottersweier erhielt ein kleines Gemeindezentrum, Gaggenau einen seit langem geplanten Kindergarten. 1976 mußten, bedingt durch die Kreisreform, die Gemeinden Achern, mit Ottenhöfen und Kappelrodeck, und Malsch aus dem Kirchenbezirk ausgegliedert werden. Als neue Pfarrei wurde 1977 Bietigheim/Muggensturm errichtet und schon 1978 in Bietigheim ein Gemeindezentrum fertiggestellt. Aktive Mitglieder stehen als Kirchenälteste im Dienst. Lektoren und Prädikanten halten Gottesdienste und Kasualien, sie helfen so den spürbaren Mangel an geistlichen Kräften auszugleichen. Ohne sie wäre eine regelmäßige Versorgung der Gemeinden in der weitverzweigten Diaspora nicht möglich. Der Kirchenbezirk Baden-Baden umfaßte 1979 50000 Evangelische bei einer Einwohnerzahl von 243000 Einwohnern.

Pfarrer Hans Martin Siehl (1932 - 2003) geboren in Heidelberg, wurde 1964 als erster Pfarrer der neuen Markuspfarrei gewählt, nachdem er schon seit 1961 in der Altstadt gewirkt hatte. Er betreute auch die kleine Gemeinde in Ebersteinburg mit der Michaelskapelle, die 1968 durch Prof. Linde erbaut wurde und nun zur Lukaspfarrei gehört. Als Vorsitzender des Kirchengemeinderates seit 1969 arbeitete er 9 Jahre für die Belange der ganzen Kirchengemeinde. In diese Zeit fielen: Erweiterung des Altersheims Marthahaus durch Erwerb eines gegenüberliegenden kleinen Hotels. Errichtung einer Krankenhauspfarrstelle, Erwerb des christlichen Erholungsheimes „Haus am Berg“ mit Aus- und Anbau zu einem weiteren Altersheim, Neubau des Kindergartens „Friedrich Oberlin“ mit Schülerhort „Johann Hinrich Wichern“ und Errichtung eines Gemeindezentrums mit Kindergarten in Oos. Die Kirchengemeinde Steinbach wurde in die Stadtgemeinde aufgenommen und bildet mit Sinzheim die Mattäuspfarrei. Baden-Baden hat nun 13000 Evangelische bei 50000 Einwohnern. Die Zeit war reif, daß sich Christen in ökumenischer Gesinnung zusammenfanden. Immer schon war das Verhältnis der evangelischen und katholischen Pfarrer zueinander gut gewesen. Nun hatte sich in Baden-Baden eine Arbeitsgemeinschaft christlicher Gemeinden gebildet, die regelmäßig zusammenkommt und sich mit gemeinsamen Veranstaltungen und Einrichtungen an die Öffentlichkeit wendet: Aktion Nächstenhilfe, Eheberatung, Kurseelsorge und Sozialstation. Für einen Sonntag im Jahr bereiten die Geistlichen der christlichen Kirchen den Gottesdienst mit Textbesprechung und Gebet gemeinsam vor und tauschen ihre Kanzel.
Ende 1978 wurde Pfarrer Siehl von der Bezirkssynode zum Dekan gewählt und leitete von 1979 bis 1994 den Kirchenbezirk Baden-Baden.

Wir sind es nicht, die da die Kirche erhalten können. Unsere Vorfahren sind’s auch nicht gewesen. Unsere Nachkommen werden’s auch nicht sein. Sondern der ist’s gewesen, ist's noch und wird’s sein, der da sagt:  Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.

Martin Luther

[Zusammengestellt und geschrieben von Siegfried Heinzelmann, 1979]

 

Orte

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Kontakt

Gemeindezentrum

mit Dietrich-Bonhoeffer-Saal, Lukassaal und Jugendraum
Bertholdstr. 6a
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